"Harlequinades" zwischen Commedia dell'arte und belle danse: Harlequin auf der Londoner Bühne des 18. Jahrhunderts
(Kathrin Stocker)
The neatness with which you perform [the] Character of Harlequin in all [the] different Attitudes which belong to it they which you give with so much Grace & suppleness; obliges me to take [the] liberty to offer you this little work. (Choreograph Le Rousseau um 1728 an den Tänzer Louis Dupré)
Die Figur des Harlekin war von den Londoner Bühnen des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts nicht wegzudenken. Louis Dupré war in London seit 1714 bekannt für seine artistischen und artifiziellen Darbietungen. Er baute seine Rolle als Harlekin zunächst in entr'acte-Tänzen und Afterpieces aus. Später machte er am Theater Lincoln's Inn Fields von John Rich – selbst ein bekannter Harlekin, jedoch kein Tänzer – Stücke wie Amadis, or the Loves of Harlequin and Colombine (Januar 1718) und The Necromancer, or Harlequin Doctor Faustus (Dezember 1723) zu Publikumserfolgen. Die wenigen erhaltenen Hinweise auf sein Bühnenschaffen weisen deutlich darauf hin, dass Duprés Harlekin das Publikum begeisterte und zu einem regelrechten ‚Harlekin-Boom' auf den Londoner Bühnen führten.
Le Rousseaus Choreographie in Feuillet-Notation ist eines der wenigen choreologischen Dokumente für Commedia dell'arte-Figuren auf der Ballettbühne des 18. Jahrhunderts. Es handelt sich zwar nicht um die Niederschrift eines Auftritts von Dupré, enthält nach Le Rousseau aber ausdrücklich Bewegungen, die auch für Duprés Harlekin typisch waren. Der Historizität der Harlekin-Figur selbst wohnt eine Widersprüchlichkeit und starke Ambivalenz inne. Ihr Bewegungsrepertoire ist zum Zeitpunkt von Le Rousseaus Choreographie seit Jahrhunderten herausgebildet, verfeinert, individualisiert worden – Harlekin steht also notwendigerweise in einem gewissen Widerspruch zum kodifizierten belle danse. Die Herausforderung einer solchen Figur an die Feuillet-Notation und ihre Bewegungssprache am Beispiel von Le Rousseaus Choreographie sollen Thema des vorgeschlagenen Posters sein.
Kathrin Stocker, Leipzig, Deutschland:
Kathrin Stocker studierte in Heidelberg Musikwissenschaft, Germanistik sowie Mittlere und Neuere Geschichte. Sie schloss das Studium 2011 mit einer editorischen Arbeit zu Tanzformen im norditalienischen Violinrepertoire ab. Seit April 2014 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Emmy Noether-Projekt „Ritualdesign für die Ballettbühne" (Dr. Hanna Walsdorf, Leipzig) und arbeitet an einer Dissertation zum Thema „Choreographische Gefüge in Konstruktionen von Volkskultur auf der Ballettbühne des 17. und 18. Jahrhunderts" (Arbeitstitel) an der Universität Leipzig.