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Erotische Szenen bei Jean-Georges Noverre
(Michael Malkiewicz)

Die Zeit des Rokoko ist gerade in Frankreich durchsetzt von erotischen Szenerien, sowohl in der bildenden Kunst wie auch in der Bühnenkunst. Jean-Georges Noverre wirkte von 1740 und ab 1753 jeweils für einige Jahre in Paris und damit in einem besonders von Erotik und Frivolität geprägten künstlerischen Umfeld. Trotz der Forderung, dass Ballett auch ohne Worte verständlich sein muss, verfasste gerade Noverre sehr umfangreiche Szenarien zu seinen Balletten. Diese stellen innerhalb der überlieferten Libretti eine Besonderheit dar, als sie nicht nur den Handlungsablauf grob skizzieren, sondern vor allem auch eine eigenständige sprachliche Qualität aufweisen, wodurch sich seine Texte vom sonst üblichen Libretto-Schrifttum deutlich abheben. Mein Blick gilt den erotischen Szenen, wie etwa aus dem Ballett Énée & Didon. Während das Liebesspiel (unsichtbar für das Publikum) in einer Grotte stattfindet, erfährt Amor, in dem er mit seinen Ohren lauscht, das Geschehen. Amor teilt diese dann gestisch den Göttern mit, welche wiederum durch Tanz dem Publkum das Geschehen in der Grotte zeigen. Noverre erzeugt hier durch Verdecken und nur indirekte vage Mitteilungen (Pantomime / Tanz)  eine erotische Spannung. Gleichzeitig werden alle Arten von auf der Ballettbühne möglichen medialen Formen der Vermittlung (Hören – Geste/Pantomime – Tanz, schließlich Sehen und Verstehen) innerhalb einer Szene gleichzeitig präsentiert. Abgesehen von Noverres grandioser Formulierungskunst bleibt allerdings die Frage nach einer bühnen- und bewegungstechnischen Realisierung völlig offen.

In diesem Referat möchte ich folgenden Fragen nachgehen. Mit welchen Textstrategien und möglichen Handlungsstrategien auf der Bühne erzeugt Noverre Erotik im/als Text? Welche Stellung und Bedeutung nehmen diese Szenen innerhalb seines Werkes ein? Inwieweit lässt sich hier eine Sonderstellung Noverres erkennen? Die Frage nach einer Umsetzung auf der Bühne kann aufgrund fehlender Informationen nicht erörtert werden. Insofern sei die These formuliert, dass die Szenarien insbesondere von Noverre als eigenständige und in erster Linie literarische Gattung zu betrachten sind, und weniger als Handbuch einer Anleitung zum Tanz, der in diesen Texten ja selbst kaum vorkommt. Dies würde die Tanzwissenschaft entlasten, in Noverres Szenarien einen Mangel an Information (nämlich zum Tanz) zu postulieren, insbesondere wenn es von Noverre selbst gar nicht als solches gesehen wurde. Insofern gäbe es dann den Widerspruch zu Noverres Aussagen, wonach ein Ballett auch ohne Worte verständlich sein sollte, auch gar nicht, wenn den Szenarien diese Funktion von vornherein nie zugedacht war.

Michael Malkiewicz, Salzburg, Österreich

geboren 1967 in Salzburg. Violinstudium an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst "Mozarteum" sowie Musikwissenschaft, Theologie und Slawistik an der Paris-Lodron-Universität Salzburg. 1996/97 Stipendiat der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Rom. 2001 Promotion zur musikalischen und choreographischen Analyse höfischer Tänze des 16. Jahrhunderts. 1996-2002 Forschungsassistent an der Freien Universität Berlin zu Sängerkastraten. 2002-2004 Forschungsassistent an der Universität Salzburg zur Musik des Ballet en action. 2004-2008 Forschungsassistent der VolkswagenStiftung zur „Beziehung von Musik und Choreographie im Ballett des 16.-20. Jahrhunderts“. Veröffentlichungen zu Streichermusik, Sänger-Kastraten und Tanzanalyse des 15. bis 18. Jahrhunderts. Lehrbeauftragter an der Paris-Lodron Universität in Salzburg. Referent und Gastdozent zu Tanzgeschichte und –praxis. Videoprojekte zu historischem Tanz.

Organisation:
Dance & History e.V.

Dance & History e.V. is a non-profit registered association based in Germany. Our objective is to promote research and the dissemination of knowledge in the field of historical dance. We work together with similar organisations in Europe and America.