"Italiens Tanzikone: Die tarantella als Metapher eines utopischen Arkadiens von der Grand Tour bis zum Posttourismus"
(Fenger, Josephine)
Wie kein anderes kulturelles Phänomen verkörperte die tarantella „napoletana"die Utopie Arkadien. Für viele Grand Touristen war Neapel der südlichste Punkt ihrer Reise; in dem ekstatischen Volkstanz mit der Faszination des „Archaischen" schien sich für sie die Grenze ihrer Zivilisation zu manifestieren. Seit dem späten 18. Jahrhundert erreichte die Tarantella zunächst durch Reiseberichte europaweite Bekanntheit und künstlerischen Einfluss: als musikalischer oder choreographischer Bezugspunkt und als Metapher in Literatur und Drama für Krise, Entgrenzung und Erneuerung und die Identifikation mit der mediterranen Kultur. Die komplexe Entwicklungsgeschichte der unter dem Dachterminus Tarantella bezeichneten Tanzvarianten und die rezeptionsästhetische Erwartungshaltung der Reisenden gegenüber dem deshalb stark semantisch „aufgeladenen" Tanz begünstigten seine Mythifizierung. Zugleich als modischer „Nationaltanz" und fremdidealisierter Tanz eines utopischen „Südenorts" propagiert, zum Salon- und inszenierten Schautanz – einem touristischen „must-see" – synthetisiert, verlor die tarantella „napoletana" um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Authentizität. Der zum Klischee erstarrten „tarantella alberghiera" um 1900 steht die aktuelle Popularität regionaler tarantelle als dem kollektiven Embodiment eines „neuen Arkadiens" gegenüber, als das die Tarantella wieder zur touristischen Sehnsuchtsmetapher und zum folkloristischen (Massen)spektakel geworden ist.
Josephine Fenger, Berlin, Deutschland:
Josephine Fenger, Dr. phil.,arbeitete nach einer Ausbildung in Klassischem und Modernem Tanz als Balletttänzerin in Südamerika. Sie studierte Theaterwissenschaft, Publizistik, Wissenschaftsmanagement und Editionswissenschaft. Die promovierte Kulturwissenschaftlerin ist Mitherausgebern von tanzwissenschaftlichen Anthologien, Autorin von Auftritt derSchatten (2009) und veröffentlicht regelmäßig Beiträge zur Tanzforschung. Zu ihren gegenwärtigen Forschungs- und persönlichen Interessen gehört die Volkstanzkultur Süditaliens.
Matilda Ann Butkas Ertz teaches music historyat the University of Louisville and is director of the piano department at the Youth Performing Arts School. She has a PhD in Musicology from the University of Oregon and studies music and dance, particularly ballet music in the nineteenth and twentieth centuries. She is a pianist and harpsichordist with extensive dance training. Specializing in nineteenth-century Italian ballet music for her Phd dissertation, she has recently published research on Schneitzhoeffer's score to La Sylphide, Les Noces (Nijinska/Stravinsky), and Viganò's La Vestale.
Anne Daye pursues documentary research and reconstruction of dance of the past, with specialist study of the 16th and 17th centuries. Since completing a doctoral thesis on dance in the Stuart masque (2008), she continues to publish on dance on the London stage c.1600. Anne teaches in universities and for specialist courses; she is Director of Education and Research for the Dolmetsch Historical Dance Society.
Giles Bennett, Historiker, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte München im European Holocaust Research Infrastructure (EHRI) Projekt, Tänzer im Ensemble La Danza München (Leitung: Jadwiga Nowaczek), Mitherausgeber des Bandes „Barocktanz im Zeichen französisch-deutschen Kulturtransfers. Quellen zur Tanzkultur um 1700" Hildesheim 2008, diverse Aufsätze zum Tanz im 17. und 18. Jahrhundert.