„Mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele“ – Die Ballszene aus den „Leiden des jungen Werther“ von Johann Wolfgang von Goethe
(LA DANZA München, Ltg. Jadwiga Nowaczek)
„Tanzen muß man sie sehen! ... sie ist so mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dabei, ihr ganzer Körper eine Harmonie, so sorglos, so unbefangen, ... als wenn sie sonst nichts dächte, nichts empfände; und in dem Augenblicke gewiß schwindet alles andere vor ihr.“ So charakterisiert Johann Wolfgang von Goethe die auf einem Ball tanzende Lotte in einem seiner berühmtesten Werke, den „Leiden des jungen Werther“ (Erstausgabe 1774). Seine treffsicheren Formulierungen verraten den überaus empfindsamen, mitfühlenden Zuschauer, der diese innere Hingabe im Tanzen wahrscheinlich auch bei sich selbst erfahren hat.
Die im Werther enthaltene Ballszene ist aus tanzhistorischer Sicht höchst interessant, u. a. auch, weil sie autobiographische Züge trägt und dadurch einen starken Realitätsbezug hat. Zwei Jahre vor dem Erscheinen des Werther, am 9.6.1772, hatte sich Goethe auf einem Ball unglücklich in Charlotte Buff verliebt, nicht wissend, dass diese schon verlobt war, und seine Erfahrungen im fiktiven Briefwechsel des Werther verarbeitet. Goethe beschreibt dort das Ballgeschehen derart anschaulich und konkret bis in einzelne Tanzfiguren hinein, dass man davon ausgehen kann, dass der reale Ball von 1772 in ähnlicher Weise verlaufen sein könnte. Es werden die gängigen Gesellschaftstänze getanzt: Menuett, Kontratanz, Deutscher Tanz – genau die Tänze, die der geniale Mozart in seiner Oper Don Giovanni (Finale 1. Akt) gleichzeitig erklingen lässt. Die Ballszene des Werther enthält mancherlei aufschlussreiche Formulierungen und Bemerkungen Goethes zur realen Tanzpraxis seiner Zeit, die Thema eines kurzen einleitenden Vortrags sind. Das Ensemble La Danza München präsentiert diese packende, mit Emotionen aufgeladene Ballszene mit Tänzen des ausgehenden 18. Jahrhunderts (Rekonstruktion: Jadwiga Nowaczek) im Wechsel mit den entsprechenden Textstellen von Goethe und erweckt sie so zu neuem Leben.
Jadwiga Nowaczek, Ismaning, Deutschland:
Klassische Tanzausbildung, Studium der Schulmusik, Rhythmik und Musikwissenschaft. Seit 1980 Rekonstruktion von historischen Tänzen des 15.-19. Jahrhunderts nach den Primärquellen. Choreographie mehrerer Ballette, u. a. von Dido und Aeneas (Purcell), Orfeo y Euridice (Leopold I) und Pygmalion (Mouret). Operninszenierungen: Purcell, Dido und Aeneas (2007) und Lapier, Felix in Fide Costanzia (2018). Lehrauftrag für Historischen Tanz an der Musikhochschule München. Leiterin von La Danza München.
LA DANZA MÜNCHEN, München, Deutschland:
Das Ensemble LA DANZA MÜNCHEN wurde 1999 von Jadwiga Nowaczek gegründet und bringt historische Tänze des 15. bis 19. Jahrhunderts zur Aufführung. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf dem Barocktanz. Ziel ist, mit höchstmöglicher Genauigkeit und Authentizität die historischen Choreographien darzustellen. Viele Auftritte im In- und Ausland, u. a. bei den Tanztagen in Bad Ischl (2007-2015) mit jährlich wechselnden abendfüllenden Programmen, beim Taubert-Festival in Leipzig 2017 sowie Mitwirkung in Barockopern, zuletzt in Diana amante von Giuseppe Bernabei Kaufbeuren und Ingolstadt 2018.